Schatten

Seit Platon die Menschheit in eine Höhle versetzte, galten Schatten im westlichen Denken als wesenlos. Die Körperfeindlichkeit frühchristlicher Sekten dämonisierte den Menschen selbst als bloßen Schatten. Auch für die Manichäer gehörte der Schatten zum Reich des Bösen. Erst als man in der Renaissance die Farbigkeit der Schatten entdeckte, entstand ein Sinn für die Schönheit der Körper und des diesseitigen Lebens. Die auf Lichtmetaphern

spezialisierte Aufklärung wiederum privilegierte die Vernunft gegenüber der Trägheit der Körper. Damit rückte das ästhetisch-moralische Potential der Schattenwelt aufs Neue in den Hintergrund. Noch die Moderne, von Bauhaus bis Pop, steht in dieser Tradition. Interessant hingegen sind Positionen der Existenzphilosophie, Psychoanalyse und Dekonstruktion, für die Erkenntnis nie schattenlos objektivierbar ist. Mit der Einsicht in die individuelle Färbung jeder Erkenntnis treten andere, künstlerische Wissensformen ins Zentrum, wie sie u. a. die Romantik kultiviert. Auch der zen-nahe Umgang mit Schatten im asiatischen Denken bietet neue Ansätze. Nicht zuletzt das körper- und schattenlose Internet wird in der Diskussion eine Rolle spielen. Angesichts der digitalen Überwachungslust stellt sich inmitten der Open Society erneut die Frage nach dem Wert von Verschlüsselungen, Geheimnissen, Camouflage und Esoterik als Grundrechten demokratischer Gesellschaften. Lässt sich der Schatten in kreative Entwürfe integrieren? Und was bedeutet es, ihm Raum zu geben?

 

Beginn: 27. Oktober

 

Hauptseminar WS 2016/17

Prof. Dr. Ingeborg Harms

Raum 208

Donnerstag, 15-18 Uhr