„Die Zukunft braucht den ganzen Menschen“. Zur Politik moderner Kunst und Gestaltung | Jan Sieber

„die zukunft braucht den ganzen menschen“ – in Moholy-Nagys berühmter, manifest-artiger Forderung verdichten sich zentrale Aspekte der Politik moderner Kunst und Gestaltung. Sie gründet sich, erstens, auf einer Erfahrung der Geteiltheit, der Fragmentiertheit des Menschen in der Moderne. Aus dieser Erfahrung heraus trat moderne Kunst und Gestaltung nicht selten als Kritikerin der auf den kapitalistischen Produktionsverhältnissen gewachsenen Entfremdung des Menschen auf, Entfremdung von – wie der junge Marx feststellte – seinem Arbeitsprodukt, seiner Arbeit und ihm selbst, dem Menschen. Zweitens entwarf sie Visionen und Programme, wie der Entfremdung des Menschen von Seiten des Ästhetischen her zu begegnen sei. Die Entwürfe und Vorschläge dazu sind vielfältig: die Rückkehr zum Handwerk als nicht-entfremdete Form der Arbeit, Gestaltung als Erziehung des Menschen entgegen seine Fragmentiertheit, die Verbindung von Kunst und Industrie zur Erschaffung einer neuen, nationalen Kultur. Mit ihrem Versprechen auf eine ästhetische Versöhnung stand moderne Kunst und Gestaltung jedoch, drittens, nicht selten im Dienste der Ideologie.

Im Seminar werden wir zentrale Positionen und Texte aus der Geschichte der modernen Kunst und Gestaltung hinsichtlich ihres Ortes im Spannungsfeld zwischen Gesellschaftskritik, Politik und Ideologie sowie im Hinblick auf die Rolle des Ästhetischen darin diskutieren.

 

Kultur- und Designgeschichte || BA 1. Semester || Donnerstag 14.15–16.45 Uhr || Raum 207