AUF BRÜCHEN WUCHERN | LUKAS WEGWERTH

Zerbrechen ist Verlust. Meistens jedenfalls. In Geschichten, Sprichwörtern und Ritualen ordnen wir dem Brechen allerdings oft eine besondere, sehr positive Bedeutung zu. “Scherben bringen Glück” , wenn man Schiffe tauft, zerschmettert man eine Sektflasche daran und an Polterabenden werfen die Gäste Geschirr auf dem Boden. Es scheint also doch etwas besonderes am Brechen zu sein. Vielleicht liegt es an der Unumkehrbarkeit der Zerstörung, die es zu einem Opfer werden lässt, aber bestimmt auch an der entstehenden Ästhetik. Etwas Zerbrochenes verliert seine Benutzbarkeit, die Teile werden zu einem Puzzle, das je nachdem wie viele Stücke es hat, wie wertvoll oder wichtig der Gegenstand war, wieder repariert wird oder nicht. Dabei drängen sich Fragen auf. Fragen nach dem Wert und danach, was ihn ausmacht. Durch den Schaden und dessen Reparatur kommt auch eine neue Geschichte in das Objekt, ein neuer Charakterzug, den es vorher gar nicht hatte.

Als mir selbst eine mir wichtige Tasse runterfiel, ging ich zu einem Bildhauer, um von ihm zu erfahren, wie ich sie wieder zusammenfügen kann. Er, ein etwas älterer Japaner, war sehr interessiert an den Einzelteilen und für mich unerwartet, sah er im Zerspringen der Tasse weniger ein Problem als einen Glücksfall und erzählte mir eine Geschichte aus dem alten Japan. Damals, vor einigen hundert Jahren, hätten die Menschen schon den Benutzungsspuren und Brüchen der Dinge eine große Bedeutung zugemessen, weil diese sie charakteristisch machten. Das wäre ihnen viel wichtiger gewesen als die Unversehrtheit. Tonwaren, die sie aus anderen Ländern importierten, schienen ihnen zu perfekt. Den einzigen Ausweg, den sie sahen, um die Produkte für sich annehmen zu können, war sie zu zerbrechen, um sie dann wieder zusammen- zusetzen. So bekamen die Teile ihre erste eigenen Geschichte, ihre Unverwechelbarkeit und damit einen höheren Wert.

Die Natur lässt Brüche einfach zuwachsen oder überwuchern. Sie werden zu Narben, die bei der Betrachtung irritieren können, aber gleichzeitig auch gerade den besonderen Wert ausmachen, indem sie Einzigartigkeit verleihen und Geschichten ahnen lassen. Dieses Phänomen noch zu verstärken, habe ich mir zur Aufgabe gemacht. Ich möchte in meinem Projekt einen Mehrwert durch Zerstörung schaffen. Nach verschiedenen Reparaturexperimenten schienen mir hierfür Kristalle sehr geeignet. Man kann sie gezielt auf den rauhen Bruchflächen züchten, von wo aus sie sich dann vergrößern. Sie schließen Risse, wuchern über Fehlstellen hinweg und bilden sogar größere Volumen nach. Das so entstehende Objekt ist nicht mehr das, was es vor dem Bruch war, es nimmt das alte aber in sich auf und erweitert es zu einem neuen, einzigartigen Ding.