SCOLYT | MARCO MERKEL

Zufall erschafft die schönsten Formen. Das war vor 70 Jahren so und ist es jetzt immer noch. 1944 wurden Glasperlen durch einen Brandbombenanschlag in eine bizarre organische Form gebracht. Das Material Glas und die Herangehensweise des Unplanmäßigen finden sich als Transfer in diesem Entwurf wieder. Diesmal war der Grad der Planung durch die Verwendung von Holzformen aber höher. Diese wurden jedoch nicht extra für den Entwurf gefertigt, sondern entspringen der Natur und dem Zufall.

Zufall ist Mehrwert

Kontrolle abgeben, Kontrolle verlieren, Entscheidungen abschieben, sich dem Zufall hingeben, kontrolliert unkontrolliert. Sich bewusst dafür entscheiden, jemanden oder etwas anderes entscheiden zu lassen. Vielleicht die Physik, die Wirtschaft, das Material, das Schicksal, die Emotionen, das Unbewusste?

Diese Entscheidung zu treffen ist für einen Künstler oder Gestalter nie ganz einfach, weil sich so der weitere Entwurfs- oder Produktionsprozess seiner Kontrolle entzieht. Entscheidet man sich dafür diesen Weg zu gehen, gelangt man zwangsläufig an einen „Point of No Return“. Man kann nicht mehr zurück, kann nicht einfach speichern und muss bei Missfallen neu starten. Das bedeutet, dass Künstler, die beispielsweise mit Explosionen ihre Werke entstehen lassen, bei einem nicht zufriedenstellenden Ergebnis neu beginnen müssen. Um ein besseres oder anderes Resultat zu erzielen, können sie entweder neue Rahmen-bedingungen setzen oder schlichtweg hoffen, dass der Zufall dieses Mal ein verbessertes Ergebnis für sie bereithält.

Unkontrollierte oder unkontrollierbare Abläufe findet man überall. In der strengen Wissenschaft sind sie störend und werden als Mangel angesehen. Man versucht sie zu reduzieren und erstellt am Ende ein Fehlerprotokoll, um die Aussagekraft seiner Ergebnisse zu verifizieren.
In der Kunst und im Design ist der Zufall jedoch immer häufiger ein gern gesehener Gast. Das liegt in der Regel daran, dass so Türen geöffnet werden, die man vorher nicht einmal gesehen hat. Große Entdeckungen basieren auf dem Zufall. Amerika wurde durch Zufall entdeckt. Penicillin wurde durch Zufall entdeckt. Und in der Kunst und im Design entstehen durch unkontrollierte Abläufe häufig neue unerwartete Formen. Das ist der große Vorteil des Zufalls. Er muss keine Erwartungen erfüllen, sich nicht an Konventionen halten. Er kann machen was er will und uns so überraschen und mehr zeigen, als wir erwartet haben. So gestaltet der Zufall manchmal selbst und bringt Fortschritt mit sich.

Ich möchte den Zufall in diesem Sinne als Werkzeug nutzen und mit seiner Hilfe neue, unerwartete, aussergewöhnliche und einzigartige Formen für den Werkstoff Glas entwickeln. Ich werde ein Stück weit die Kontrolle abgeben und nicht, wie üblich, Blasformen fertigen. Die Natur hält ein reichhaltiges Repertoire an Formen bereit und diese werde ich mir zu Nutzen machen. Ich nehme, was mir die Natur gibt. Verrottende Bäume, gespaltenes oder vom Sturm gebrochenes Holz und Vogelbauten in Stämmen sollen mir als Formen dienen, um entweder äußere Strukturen oder Hohlräume abzuformen. Durch diesen Prozess erhoffe ich mir, innovative Objekte zu schaffen, die nur durch das Zusammenspiel von Kontrolle und Zufall entstehen können.