KAIROS 9 – OBJECT 9
Es gibt ja nicht den einen Moment, sondern solche Momente kommen immer wieder. Vielleicht eint sie bei mir ein Zusammentreffen von Druck von außen und Klarheit innen? Oder war es einfach Glück innerlich klar zu sein, welche Entscheidung zu treffen war? Oder brauche ich den Druck um in Klarheit zu sehen? Keine Ahnung, aber selbstbestimmt zu entscheiden, statt Fremdbestimmung, den Moment zu nutzen, hat mich sicherlich auch zu dem gemacht, die ich heute bin. In der Art wie ich agiere, in meiner inneren Unabhängigkeit und damit auch Freiheit. Trotz aller Abhängigkeiten in denen wir alle stecken. Fachlich würde ich eher von Menschen erzählen, die mich auf meinem Weg geprägt haben, die mich herausgefordert haben, mit denen ich im Diskurs mein Wissen, meine Überzeugung, meine Erkenntnisse schärfen konnte. Und dieser Prozess wird nie zu Ende sein. Welch ein Glück.
Zum Objekt: ein Maßband oder Meterstab
Braucht man immer und hat viel mit meiner ersten Berufswahl zu tun
On TulGa Beyerle
Tulga Beyerle (*1964, Wien) ist seit dem 1. Dezember 2018 Direktorin des Museums für Kunst und Gewerbe Hamburg. Ausgehend vom programmatischen Gründungsgedanke von Kunstgewerbemuseen über die Vorbildsammlung Gestaltungsqualität zu prägen, ist es ein wesentliches Anliegen Tulga Beyerles das Museum als Möglichkeitsraum und Plattform für Diskurs und Verhandlung über die Fragen der Gestaltung unserer Welt zu verstehen.
Als ausgewiesene Designexpertin war sie von 2014 bis 2018 Direktorin des Kunstgewerbemuseums Dresden, Schloss Pillnitz, und zugleich Mitglied der Geschäftsführung der Staatlichen Kunstsammlungen Dresden, einem der führenden Museumsverbunde Deutschlands. Zuvor war sie Co-Leiterin der Vienna Design Week, die sie 2006 mitbegründete. Zudem war sie viele Jahre als selbstständige Kuratorin in Europa erfolgreich tätig.
Nach einer mit Gesellenprüfung abgeschlossenen Tischlerlehre studierte sie Industrial Design in Wien und unterrichtete an der dortigen Universität für angewandte Kunst im Anschluss für rund sieben Jahre Designgeschichte und Theorie. Sie ist unter anderem Mitglied im Programmrat der Bundeskunsthalle in Bonn und im wissenschaftlichen Beirat des Mudac, dem Museum für angewandte Kunst in Lausanne.
KAIROS 9 – A talk with a measuring tape – 22 Participants
ZUSAMMENFASSUNG
Tulga Beyerle // Kairos
Die einschneidenden Momente, die in Tulga Beyerles Leben als Kairos gelten, kamen anders als bei den anderen Gästen zuvor, eher aus der Entscheidung heraus die vorherige Phase zu beenden. Sie hatte verschiedene Stationen ausprobiert, und jeweils gemerkt, dass die Situation sie auf Dauer unglücklich machen würde. Durch die freie, aber risikobehaftete Situation etwas zu beenden, ohne zu wissen was danach kommt, entsteht auch eine große Freiheit, die Platz zur freien Entfaltung und Selbstbestimmtheit bietet.
Nachdem sie die Berufsfelder der Tischlerin, Lehrbeauftragten und Kuratorin der Vienna Design Week hinter sich gelassen hat, ist sie jetzt Direktorin des Museums für Kunst und Gewerbe in Hamburg. Einen Wandel des Design- und Kunstgewerbemuseen hält sie für dringend notwendig. Nicht nur vor dem Hintergrund, dass diese Museen in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts entstanden sind und der gesellschaftliche Wandel vor den Museen nicht halt macht. Sondern auch, weil sie ihre Plattform nutzen möchte, um aktiv einen Diskurs voranzutreiben und etwas zu bewegen, anstatt wie es Museen sonst oft tun, gesellschaftliche Umbrüche nur aufzubereiten und zu konservieren. Gerade vor diesem Hintergrund wundert sie sich über fehlende Radikalität, vor allem bei den jüngeren Designer*innen und Kurator*innen. Wofür man steht, was man darstellt, was man direkt und indirekt mit seinem Handeln/ Arbeiten unterstützt sollte grundsätzlich hinterfragt und überdacht werden.
Ebenso ist ihr wichtig den gesellschaftlichen Wandel, den man anstrebt, vorzuleben; als sie eine Ausstellung zu Social Design vorbereitete, hatte sie sich erstmal mit ihrer Umgebung in Hamburg befasst und die Nachbarschaft des Museums und ihre Institutionen angesehen, was ein erfreulich fruchtbares Miteinander zufolge hatte.
Die Tatsache, dass Studierende heute mehr daran interessiert sind sich mit gesellschaftlichen Problemen zu beschäftigen, und weniger den Fokus darauf legen, sich oder der Firma für die man spöter arbeitet einen Namen zu machen und beispielsweise auf namenhaften Messen ausgestellt zu werden, ist zwangsläufig wichtig. Die politische Positionierung ist eine Grundhaltung, auch wenn sie von sich selbst sagt, dass sie als Frau weniger Radikal ist, als es teilweise ihre männlichen Kollegen (Kuratoren und Direktoren) sind. Diese fragen sich nicht, wen sie mit ihren Ausstellungen vor den Kopf stoßen, wen sie womöglich verletzen, enttäuschen oder zerstören, und haben daher oft den Vorteil mehr aufsehen zu erregen. Dennoch ist es wichtig eine Haltung einzunehmen und nicht nur zu zeigen, sondern auch zum mitmachen zu motivieren.
Das Ziel ist, den Museumsbesucher nicht nur als Betrachter oder Konsument zu sehen, sondern ihn in Projekte einzubeziehen, eine Auseinandersetzung voranzubringen und ihm/ihr dadurch eine Stimme im Diskurs zu verleihen, ihn hineinzuführen in eine aktiv mitgestaltende Position.
Denn das, was sie an dem Thema Design so faszinierend findet, und was sie seit Beginn ihrer Karriere interessiert und begleitet, ist dass es immer wieder um die essentielle Frage geht: wie wollen wir unsere Welt gestalten?
Dominique Bertisch