Der Hirsch im Regenwald und der Tukan auf der Eiche | Sarah Sekles | 2020

 

Der Hirsch im Regenwald und der Tukan auf der Eiche | Bachelorarbeit 2020

Ich habe die Zeit der Bachelorarbeit genutzt intensiv in mich selbst hinein zu schauen, um den Katalog meiner Erfahrungen, meiner Fähigkeiten, die Hintergründe meiner Erziehung, den Aufbau meines Wertesystems und somit die Begründung meines Handelns, tiefgründiger kennen zu lernen. Die Herkunft, die Familiengeschichte und ihre gesellschaftliche Positionierung formen und beeinflussen die Methodik des Denkens und Handelns einer Person. Sie prägen ihre Identität. Das Verständnis und das Anerkennen der Individualität ist eine essentielle Grundlage der Schaffenstätigkeit.

Ich bin das Resultat einer bikulturellen Zusammenkunft. Meine Arbeit thematisiert diese Situation und beleuchtet die Eigenschaften aus denen ich bestehe. Ich betrachtete die jeweiligen Erkenntnisse und assimilierte sie. Die Recherche zur Bachelorarbeit beruhte auf der Analyse meiner eigenen Erfahrungen, auf den Gesprächen mit Verwandten und der Auswertung vieler Dokumente, bis hin zur Gegenüberstellung der gesellschaftlichen und geschichtlichen Oberthemen. Es galt herauszufinden, welche besonderen Merkmale in den jeweiligen Ländern und deren Kulturen zu finden sind, in Bezug auf Tradition und Geschichte. Während der Recherche ist ein Raum entstanden indem die Territorialitäten nicht länger getrennt waren. Es sind Verschmelzungen, Widerstände und Zufälle entstanden. Vieles was ich in meiner Recherche lernte und erfuhr begründet die Auswahl, Methodik, und das Resultat meiner Objektkollektion.

Die Objektkollektion behandelt 6 verschiedene Themen. Alle Objekte machen eine persönliche Geschichte oder Erfahrung sichtbar. Das Resultat porträtiert meine individuellen Emotionen über das Interagieren mit 2 verschiedenen Identitäten. Es dient meinem eigenen Verständnis von Nationalität und Herkunft. Entstanden sind Tonarbeiten, Schaumskulpturen, Textildesigns, Farbkompositionen, Malereien, Poesiecollagen, botanische Bilder.
Das abschließende Ausstellungskonzept dient der Zusammenführung und ist der Ort, wo Trennungen und Andersartigkeiten zu Harmonie und Einigkeit werden.

I used the time of the bachelor’s thesis to look deeply into myself in order to get to know the catalog of my experiences, my skills, the background of my upbringing, the structure of my value system and thus the reasons for my actions. The origin, family history and their social positioning shape and influence the methodology of a person’s thinking and acting. They shape their identity. Understanding and recognising individuality is an essential foundation of creative activity.

I am the result of a bicultural combination. My work addresses this situation and highlights the properties that I consist of. I looked at the respective findings and assimilated them. The research for the bachelor thesis was based on the analysis of my own experiences, on conversations with relatives and the evaluation of many documents, up to the comparison of the main social and historical topics. The task was to find out what special features can be found in the respective countries and their cultures, in terms of tradition and history. During the research, a space was created in which the territoriality’s were no longer separated. Mergers, resistances and coincidences have arisen. Much of what I learned in my research justifies the selection, methodology, and the result of my object collection.

The object collection deals with 6 different topics. All objects make a personal story or experience visible. The result portrays my individual emotions about interacting with 2 different identities. It serves my own understanding of nationality and origin. The results are clay works, foam sculptures, textile designs, color compositions, paintings, poetry collages, botanical images. The final exhibition concept serves to merge and is the place where separations and differences become harmony and unity.

 

Die Landschaft in Parana, Brasilien, wird von einer roten Erde geprägt . Wenn es regnet wird der Boden schlammartig und es bilden sich überall rote Pfützen. Am auffälligsten zeichnet sich diese Erde an den Häuserfassaden ab. Diese saugen bei Nässe die Bodenflüssigkeit in ihre Gesteinsschichten auf. Dadurch hat der untere Teil der meisten Häuser eine rote Fläche, die sich nach oben hin verläuft und in die ursprüngliche Fassadenfarbe übergeht. Daraus entstand die Idee des gewebten Wandteppichs. Dieser beginnt als Wandgebilde und wird wie eine Hohlkehle auf dem Boden zu einem herkömmlichen Teppich. Wegen der Form einer Hohlkehle erschloss mir die Idee, den Farbverlauf der roten Erde, aufzugreifen und im Textil aufzuzeigen.

Außerhalb von größeren Städten findet man in der brasilianischen Landschaft viele Termitenhügel. Manche sind mehrere Meter hoch, andere breit und fett, manche schmal, entweder mit vielen kleinen pickelchen oder ganz glatt.
Mir kam die Idee die Termitenhügel als eine Art Sitzkissen / Polster neu zu interpretieren und zu tarnen. Meine Termitenhügel bestehen aus Schaumstoffkernen. Die deckende Oberfläche ist mit der Technik des Trockenfilzens hergestellt. Die Filztechnik erlaubt mir den gewünschten Farbverlauf und die Unruhe der Erde zu kreieren.

The landscape in Parana, Brazil, is shaped by the red earth. When it rains, the ground becomes muddy and red puddles arise. This earth is most striking on the house facades. These absorb the soil liquid into their rock layers when its wet. As a result, the lower part of most houses has a red surface that runs upwards and changes to the original facade color. This resulted into the idea of ​​the woven tapestry. It begins as a wall structure and becomes a conventional carpet like a fillet on the floor. Because of the shape of a cove, I got the idea to portray the color gradient of the red earth in the textile.

Outside of major cities, there are many termite mounds in the Brazilian countryside. Some are several meters high, others are broad and fat, some are narrow, either with many small spots or very smooth. I got the idea to reinterpret and camouflage the termite mounds as a kind of seat cushion. My termite mounds are made of foam cores. The covering surface is made with the technique of dry felting. The felt technique allows me to create the desired color gradient and the agitation of the earth.

 

Meine Vorfahren haben vor dem 2. Weltkrieg als deutsche Juden im brasilianischen Dschungel Zuflucht vor den Nazis gefunden. Ohne Mittel, ohne Transport- und Einkaufsmöglichkeiten, musste der Hunger unteranderem mit barbarischen Mitteln bekämpft werden. Also kam es dazu, dass mein Opa irgendwann Jagt auf die Papageien der Region machen musste. Ich habe mir vorgestellt wie meine Familie im Dschungel saß und Papageien auf den mitgebrachten Tellern aus gutem, deutschen Meissner Porzellan aßen. Ich habe Porzellanteller hergestellt und ein eigenes Dekor gestaltet, welches die Elemente des Zwiebelmusters aus Meissen mit der Schönheit der Papageien verbindet. Das Konzept beruht auf der kontrastreichen Gegenüberstellung beider Motive.

Before the Second World War, my ancestors found refuge from the Nazis as German Jews in the Brazilian jungle. Without means of transport and shopping, hunger had to be fought with barbaric means. So at some point my grandfather had to hunt the parrots in the region. I imagined my family sitting in the jungle and eating parrots on their German Meissen porcelain plates they brought. I made porcelain plates and designed my own decor, which combines the elements of the „Zwiebelmuster“ pattern from Meissen with the beauty of the parrots. The concept is based on the contrasting comparison of both motifs.

 

 

In nahezu jedem brasilianischen Haushalt findet man eine Tonfigur von Mestre Vitalino. Sie fallen aufgrund ihrer Einfachheit, Ursprünglichkeit, der naiven Bearbeitung und der ironischen Interpretation der brasilianischen Gesellschaft angenehm auf. Die Figuren zeigen den Brasilianer in seiner Urform in verschiedenen Tätigkeiten.
Einer der bedeutesten Arbeiten von Mestre Vitalino ist „Retirantes“, auf Deutsch „Flüchtlinge“. Ich erkenne darin eine Analogie zu meiner eigenen Familiengeschichte. Ich wollte mit dem selben Handwerk, Technik und Material von Mestre Vitalino arbeiten und wählte einen ähnlichen rot-bräunlichen Ton aus. Ich zeige 6 Familienmitglieder, jeder Figur habe ich ein Charaktermerkmal gegeben um erkennbar zu machen wer sie sind. Wie bei Mestre Vitalino steht meine Familie hintereinandergereiht auf einer Bodenfläche, die als Schale bzw. Teller genutzt werden kann.

Mein Vater wuchs mit Vorhängen vor den Fenstern auf. Auch in Berlin beobachte ich oft, vor allem dort wo ältere Menschen wohnen, dass die Fenster zugehängt sind.
Ich erarbeitete ein für mich interessantes Textilkonzept, eine Tragfläche für die Erzählung meiner Vorfahren und deren Herkunft aus Wuppertal. Entstanden sind Vorhänge auf denen eine Poesie meiner Uroma gestickt wurde. Das Garn färbte ich mit der Krappwurzel. Wuppertal war einst Industriestadt der Textilherstellung und des Färbens.

A clay figure by Mestre Vitalino can be found in almost every Brazilian household. They attract attention because of their simplicity, originality, naive processing and ironic interpretation of Brazilian society. The figures show the Brazilian in his archetype in various activities.
One of the most important works by Mestre Vitalino is „Retirantes“, in English „Refugees“. I see an analogy to my own family history. I wanted to work with the same craft, technique and material from Mestre Vitalino and chose a similar red-brown tone. I show 6 family members, I have given each figure a characteristic to make clear who they are. Like the work from Mestre Vitalino, my family is lined up on a surface that can be used as a bowl or plate.

My father grew up with curtains in front of the windows. This I often observe in Berlin, especially where older people live, that the windows are closed by curtains. I developed an interesting textile concept, a surface for telling my ancestors story and show their origin from Wuppertal. The results are curtains on which a poetry of my great grandmother was embroidered. I dyed the yarn with the Krapp root. Wuppertal was once an industrial city of textile production and dyeing.

 

Prozess