GRAVITATIONEN | BASTIAN THÜRICH | 2020

 

Gravitationen | Bachelorarbeit 2020

“Gravitas” ist der lateinische Begriff für Schwere.Die Schwerkraft ist eine der vier fundamentalen Wechselwirkungen, durch die sich physikalische Objekte gegenseitig beeinflussen. Mittels eines Pendels wurden bereits 1855 komplexe Schwingungsgeometrien, auch bekannt als “Lissajou-Figuren”, vom gleichnamigen französischen Physiker Jules Antoine Lissajou, beschrieben. Diese Formen und Rhythmen sind, da sie auf grundlegenden Gesetzmäßigkeiten beruhen, in ihrer Manifestation gleichermaßen ein Ausdruck angewandter Physik. Ähnlich wie in natürlichen Wachstumsprozessen die Fibonacci-Folge und der Goldenen Schnitt Anwendung finden, lässt sich auch hier in der schlichten Stringenz und den sich ergebenden Proportionen die Schönheit der Mathematik erleben. Diese Kohärenz, zwischen der Nutzung einfachster Mittel und dem Visualisieren von “Perfektion” bildet das grundlegende Interesse für die Wahl dieses Themenfeldes in meiner Arbeit.

Oft neigen Produktionsmethoden dazu, mit großer Maschinerie und unter Einsatz hoher Energiemengen Materialien in eine vorher definierte Form zu zwingen. Es wird gesägt, gerichtet, gepresst, geschweißt, gebogen. Es wirkt so, als möchte man sich die Welt untertan machen, statt symbiotisch mit ihr zu agieren. Mir scheint jedoch, dass alles was es manchmal braucht ein “fester” Punkt und ein “Anstoßen” sind; die Gravitation ist ja schon da. Die Produktionsmethodik wird dann einem natürlichen Phänomen angepasst.

Als alles allein entscheidender Gestalter tritt der Mensch „defacto“ in den Hintergrund. Es gibt keine Entwurfszeichnungen oder zeitgenössischen Geschmackspräferenzen mehr, die Formgebend agieren. Dennoch ist der Akteur Bestandteil des Prozesses, als “Produktionshelfer”, da es gilt die Voraussetzungen zu bestimmen. Allerdings, ab dem Zeitpunkt, an dem das Pendel der Schwerkraft überlassen wird, ist es die selbige allein, welche gestaltend wirkt. Wie sich in Vorversuchen mit dem Pendel und einer aus Porzellan oder Steinzeug bestehenden Gussmasse gezeigt hat, kann eine große Vielzahl an verschiedenen Endergebnissen in Form und Struktur erzielt -beobachtet- werden.

All diesen Ergebnissen liegt, resultierend aus den oben genannten Gesetzmäßigkeiten, eine gewisse Notwendigkeit und Präzision zugrunde, wodurch eine Wiederholbarkeit erzielt werden kann. Wenn also gewisse Faktoren von einem zum nächsten Mal gleich bleiben, lässt sich im Hinblick darauf von einer teilautomatisierten, repetitiven Fertigungsmethode sprechen. Außerdem soll die These untersucht werden, dass die Möglichkeit besteht den bisher gängigen zweidimensionalen “Pendel-Bildern” eine Dreidimensionalität zu geben. Eine Art analoger “3d-Gravitationsdrucker”. Dies konnte in den oben genannten Vorversuchen, in Ansätzen, bereits verwirklicht werden. Es ist anzunehmen, dass hierin noch Potenzial verborgen liegt, welches es aufzudecken gilt.

In einer Reihe von Versuchsanordnungen sollen außerdem folgende Fragestellungen betrachtet und evaluiert werden:

1.Welche Materialien sind geeignet? Wobei zunächst, in Porzellan und Steinzeug gearbeitet wird, da sich diese Materialien in Vorversuchen als geeignet erwiesen haben. Hier bleibt allerdings die genaue Zusammensetzung, im Hinblick auf die Viskosität zu überprüfen. In diesem Zusammenhang spielt wiederum die Art und Größe der Düse, sowie der zu erzeugende Pressdruck, eine Rolle.

2. Wie lässt sich der Aggregatzustand des Materials schnellstmöglich von flüssig zu hart verändern, um ein 3d-Druckerzeugnis zu generieren, ohne die Frequenz der Schwingungen zu beeinträchtigen ?

3. Es gibt mehrere Arten von Pendel. Welche Ergebnisse lassen sich, durch die Anwendung der jeweiligen erzielen ?

4. Wie wirkt sich die Größe des Pendels auf die Frequenz der Schwingung, die Schwingungsdauer und die daraus resultierenden Formen aus ?

5. Wie ist es zu konstruieren, formal, low- oder hightech, Lesbarkeit, Mobilität ?

6. Wie lässt sich der Prozess manipulieren? Vibration, zusätzliche Rotation ?

7. “Lissajou-Figuren” finden sich auch in der Musik; in Tönen und in Wechselströmen. Lässt sich das kombinieren; gegenseitig beeinflussen; überlagern, verdoppeln, nevilieren; Nikola Tesla`s Wellentheorie ?

8. Wie könnte eine vierte Dimension (z.B. Zeit) inkludiert werden ?

9. Wie wirkt sich Vakuum auf den Prozess aus? Wie schwingt ein Pendel auf dem Mond (theoretisch) ?

10. Wie präzise lassen sich die Formen vorhersagen, berechnen? Könnte in diesem Zusammenhang ein digitaler Prozess, unterstützend, von Bedeutung sein “deep learning” ?

11. Wie kann ein “Mapping” der Versuchsanordnungen sinnvoll visualisiert und kommuniziert werden?

12. Gibt es zweckmäßige Anwendungsmöglichkeiten für die entstandenen Objekte, als Gebrauchsgegenstände?

13. Wäre eine Verortung dieses Verfahrens, evtl auch in technologisch unterentwickelten Gegenden interessant? Ein Pendel lässt sich fast überall aufhängen.

Prozess

  

 

Prüfer

Prof. Axel Kufus, Prof. Burkhardt Schmitz, KM Caroline Bittermann