LEBENDIGE DINGE | AMELIE HINRICHSEN

Steht man heute im Troja Saal des Neuen Museums in Berlin, so fällt einem vielleicht eine der Vitrinen auf, in der sich kleine Wesen tummeln, die sich als Gefäße tarnen. Frech strecken sie uns ihre spitzen Nasen entgegen und blicken einen mit aufmerksamen Augen an. Manche von ihnen recken die kurzen Ärmchen seitlich ihres kugelrunden Bauches in die Höhe. Ihre Gesichtszüge sind simpel, jedoch nicht ohne individuellen Ausdruck. In einem Moment höchsten Erstaunens scheinen sie, wie durch einen geheimen Zauber, versteinert worden zu sein.

Sie wurden mit unspektakulärer fast schon grober Einfachheit ausgeformt. Aufgrund dieser Art von Fertigung umstrahlt sie eine Aura des Wahrhaftigen und Ehrlichen. Trotz ähnlicher Merkmale sind sie alle unterschiedlich, einzigartig, individuell. Es handelt sich bei ihnen nicht um die genau Abbildung einer menschlichen Gestalt, sondern vielmehr um die bloße Andeutung von Gliedmaßen wie Armen, Brüsten, Bauchnabel, Nasen und Augen. Die Abstraktion dieser Elemente bietet Raum für Interpretation des Betrachters. So werden diese Gefährten des Alltags zu Persönlichkeiten mit eigenem Charakter. Es ist beeindruckend, welche Aufmerksamkeit sie heute noch nach tausenden von Jahren er- regen. Die für heutige Verhältnisse ungewöhnliche Mischung von drolliger Erscheinung und archaischer Strenge verleiht ihnen den besonderen Reiz.

Um 500 v. Chr. datiert, gefunden in den Siedlungen Trojas, lassen sie die Schlussfolge- rung zu, Utensil eines alltäglichen Opferrituals gewesen zu sein.
Es heisst, diese zugleich seltsam amüsant und ernsthaft wirkenden Kerlchen seien Ab- bildungen einer Fruchtbarkeitsgöttin, deren Bauch es ständig zu füllen galt, um sich die Gunst dieser rätselhaften Figur zu sichern. So liegt die Behauptung nahe, diese Gefäße für Opfergaben regen in ihrer Erscheinung dazu an, sich um sie zu kümmern, sie zu pflegen und zu füttern.

Dass ein Objekt in uns Emotionen und Assoziationen und damit unser Empfinden und Handeln beeinflussen kann, ist ein wichtiger Aspekt, den es bei der gestalterischen Ar- beit des Designers zu berücksichtigen gilt.
Meinen Entwurf möchte ich auf eben diesen Bereich bewusst reduzieren, die Personifi- kation des Objektes sogar überspitzen. Ein Gefäß hervorbringen ohne Funktion ausser derjenigen, eine eigene Präsenz zu schaffen. Ich rücke das Objekt in den Vordergrund, der Benutzer ordnet sich als Dienender unter, Dinge werden als Wesen lebendig.

Ich möchte Sie in ein Verhältnis zueinander stellen und ein System ermöglichen, in dem sie selbstständig aufeinander reagieren, miteinander in Aktion treten. Der Mensch wird lediglich als Impuls für einen neuen Zyklus benutzt.
So baut sich ein Miteinander der Objekte auf, eine Welt zu der wir keinen Zugang haben, eine Symbiose zwischen Objekt und Objekt ohne Subjekt.