Reparatur
Der alltägliche Umgang des Menschen ist mit Artefakten bestimmt. Der überwiegende Teil dieser Gegenstände ist Ergebnis der industriellen Produktionsweise, ebenso wie die Materialien und die Werkzeuge aus denen sie hergestellt sind. Mit dem heranwachsen zurweltweit bestimmenden Warenproduktion in der Mitte des 19. Jahrhunderts, verloren veraltetete Fertigungsmethoden im handwerklichen Sinne an Bedeutung. Der Anfänglich gute Wille der Industrialisierung, Produkte zu günstigeren Preisen und einer Breiteren Maße verfügbar zu machen schlug jedoch um, in ein Wettrennen um das billigste Produkt in der Weltwirtschaft. Der Mensch verlor das Gespür und die Verbindung zu angeboten Produkten und Objekten des alltäglichen Lebens und aus einem Reparieren und Retten wurde ein Ersetzten.Da mein Vater als Restaurator tätig war, entwickelte ich bereits als Kind großes Interesse an Materialien und deren Gestaltung. Unter seiner Anleitung konnte ich früh verschiedene Techniken der Holzbearbeitung erlernen und einen Einblick in die Vielfalt der Materialien gewinnen. Von einfachen handwerklichen Tischlerarbeiten bis hin zu aufwendigen Oberflächengestaltungen wurde ich in sämtliche Bereiche der Restaurierung eingeführt. Diese frühen Erfahrungen entwickelten sich zu einer Leidenschaft für Gestaltung und die beteiligten Prozesse. Dort fand ich zu neuen Sichtweisen und Erfahrungen in meiner gestalterischen Praxis und konnte meinen kreativen Horizont durch kritische Reflektion erweitern. Anfangs beschäftigte ich mich mit unterschiedlichen Herstellungsprozessen und vertiefte mein Wissen in der Materiallandschaft. Später konnte ich diese Auseinandersetzung durch mein Engagement als Tutor im Fachbereich Technologie und Konstruktion bei Prof. Holger Neumann professionalisieren und fand dabei viel Unterstützung. Nach der umfassenden Auseinandersetzung mit der Materialität Holz und seinen Eigenschaften in meiner Bachelorarbeit möchte ich mich während des Masterprogramms tiefer in das Thema Reparatur und Konservierung im Kontext Nachhaltigkeit und Ästhetik einarbeiten. Durch meinen Vater wurde ich früh an das Universität der KünsteMA WS 2021/22Niklas Böll
Wiederherstellen von Objekten und Möbeln, welche bereits als wirtschaftliche Totalschäden abgestempelt wurden, herangeführt und entwickelte so ein Bewusstsein für Nachhaltigkeit und den ideellen Wert von Objekten, welcher über den reinen Produktwert hinausgeht. Dabei fasziniert mich die Veränderung eines Materials, die durch Benutzung im Alltag, Witterung oder anderweitige Alterung entsteht. Risse tun sich auf, Verfärbungen entstehen, Narben werden zum festen Bestandteil eines Objekts. So kann zum Beispiel die Front eines Schellack polierten Möbelstücks, welche der Sonne ausgesetzt ungleichmäßig bleicht und so die Farbe verändert, dem ganzen Objekt eine neue Ästhetik verleihen. Vormalige Mängel und Irritationen werden zu unverkennbaren Charakterzügen und Qualitäten, welche dem Objekt eine einzigartige Erscheinung geben. Die Reparatur wird ein Teil der individuellen Geschichte des Objekts. Die tagtäglich auf dem Holztisch abgestellte Kaffeetasse, welche ringförmige Verfärbungen auf der Tischplatte hinterlässt und dem Tisch einen individuellen Stempel verpasst; der von meinem Großvater immer wieder reparierte Holzschemel, welcher durch jede Ausbesserung ein neues Detail erhält diese ganz eigenen Ästhetiken und die dabei erzählten Geschichten interessieren mich. Zudem möchte ich untersuchen, in welcher Verbindung der Mensch zu einem Objekt steht und was ein Objekt individuell macht und an persönlichen Wert gewinnt. Inwiefern steht dies mit dem Kunsthandwerk und dem Handwerk und der Produktion in Verbindung, sind es die Materialien, die Spuren der Herstellung, oder einfach nur die Erinnerungen, die uns eine Beziehung mit einem Objekt eingehen lässt?! Interessant ist es hier einen Blick auf die japanische Tradition der “Keramikreperatur“ zu werfen, dem sogenannten „Kintsugi“. Hierbei werden gebrochene Teile in die Ursprüngliche Form gesetzt, jedoch bleibt die Bruchstelle sichtbar, bzw. wird sie hervorgehoben und somit ein Teil des Objektes. Anstelle an Wert zu verlieren, gewinnt das Objekt an Wert und wird meist kostbarer als zuvor. Hier steckt die Ästhetik nicht in der Perfektion, sondern im Fehlerhaften, im Vergänglichen, im Alten. Universität der KünsteMA WS 2021/22Niklas Böll
Im Rahmen des des Moduls 2 möchte ich mich ausführlich mit dem Thema auseinandersetzen und dabei ein Gestaltungskonzept entwickeln, welches auf den Einsichten und Kenntnissen aufbaut, die ich durch eine hybride Arbeitsweise zwischen theoretischer Recherche und praktischer experimenteller Arbeit mit verschiedenen Materialien erlangen möchte.
Im schriftlichen Teil meiner Masterthesis möchte ich mich im Spannungsfeld der Perfektion und des Fehlerhaften in der Gestaltung und der Produktion bewegen. Ich möchte erörtern was Fehlerhaftigkeit für uns in der Gesellschaft bedeutet und wie wir sie Aufnehmen. Unter anderem möchte ich mich mit den Fragen befassen, wie sich die Ästhetik durch umstellen in der Produktion, vom Handwerk hin zum Industriellen bis ins Digitale Zeitalter verändert hat. Fabriken und Fließbandproduktion wuchsen zur produzierenden Größe heran und prägten ein neues Erscheinungsbild der Produkte.Die Individualität, die durch das Handwerk einem jedem Werkstück hinzugefügt wurde, wurde durch ein gleichbleibendes, auf Perfektion ausgelegtes Produktergebnis ersetzt. Die Form und die Materialität der Produkte wurde dem Herstellungsverfahren angepasst. Organische Materialien wurden durch anorganische, leichter zu verarbeitende Materialien ersetzt. So wurde z.B. aus dem ungleichmäßigen Werkstoff Vollholz ein gleichmäßiger anorganischer Werkstoff, wie die Pressspannplatten, welcher wesentlich leichter zu verarbeiten ist.Das Kennzeichen dieser Produktion, der Serienproduktion, ist die sich wiederholende und Zielführende Schaffung eines gleichbleibendes Produkts. Was bedeutet Fehlerhaftigkeit in der Gestaltung? Wieso verspürt die Heutige Gesellschaft den Drang zur Rückkehr zum Individuellen? Interessant ist es hier zu betrachten, wie die Industrie reagiert und durch Prozessgestaltung sich diesem Trend anpasst. Erahnen lässt es sich durch Projekte von Firmen wie “Motel A Mio“, Diese wirbt gar mit Einzigartigkeit auf der eigenen Webseite und bietet Handgefertigte Keramik einer breiten Maße an, welche im Gegensatz zum sehr teuren, handgefertigten Keramik aus der Boutique erschwinglich wirkt. Dieses Verschwimmen von Handwerk und Industrie ist eine Entwicklung die ich ästhetisch und aus einer sozialen Perspektive sehr interessant finde und in meinem schriftlichen Teil meiner Masterthesis untersuchen möchte.
Master_Modul1_Dokumentation_Niklas_Böll