Entwursprojekt
4. Semester BA
Lehrende
Prof. Franziska Schreiber
KM Evelyn Sitter
Ehsan Sefat Morshed
Stefan Hipp
Dorothée Warning
Montag den 20.04.20
um 10.00 Uhr
Projekttage
Montag & Dienstag
Raum
Online
C_R_N
gegen Strich und Faden
oder
why and how to be a fashion designer
in and after times of crisis
Globale Katastrophen verändern die Welt. So auch jetzt. Covid-19 verschiebt weltweit das, was wir gewohnt waren. Die Pandemie verändert, wie wir uns bewegen, erleben, lernen, miteinander leben. Sie bindet uns an private Orte mit eingeschränkt sozialen Kontakten. Wir haben von vielem weniger und von manchem vielleicht mehr. Kulturelles Erleben findet digital statt. Das gesellschaftliche Leben wird nach Systemrelevanz sortiert und fordert uns heraus auch das eigene Tun nach Notwendigkeiten und Nicht-Notwendigkeiten zu ordnen. Covid-19 stellt auch die gewohnten Parameter in der Mode, ihres Gestaltens und Nutzens einmal mehr in Frage. Übliche Prozesse der Materialisierung und Verwendung sind derzeit unterbrochen. Sie müssen überdacht und neu erfunden werden.
Gut so. Die Bewertungsmaßstäbe für Qualität und Quantität unserer Disziplin stehenschon länger auf dem Prüfstand. Corona lässt vielleicht mehr denn je am eigenen Können und Tun zweifeln. Auch gut so.
In diesem Projekt sollen die Zeiten materialer Restriktionen genutzt werden, nichtmateriale Dimensionen in Mode und Kleidung besser zu verstehen, zu ergründen und für eigenes Designverständnis zu formulieren.
der designer ist eine art moralist.
er wertet.
seine tätigkeit
besteht aus wertungen. 1
Aber welche Wertungen treffen Designer*innen?
Welche Moralkraft haben die Dinge?
In welchem Verhältnis stehen Design und ethisches Handeln?
Welche Bewertungsmaßstäbe gelten?
Moral beschäftigt sich mit „Gut“ und „Böse“. Moral ist aber kein stabiles Wertesystem sondern abhängig von den gesellschaftlichen Perspektiven der jeweiligen Zeit.
Mache niemals ein hässliches Kleid, es könnte jemand kaufen.2
Worin liegt das Gute oder Böse von Mode heute? Worin liegt das Gute oder Schlechte in der eigenen Gestaltung? Welche sind die eigenen Kriterien?
Vor gut 100 Jahren entwickelte Gustav E. Pazaurek eine komplexe Systematikzur Bewertung von Gestaltung. Seine dazugehörige Objekt-Sammlung , die „Folterkammer des Ungeschmacks“ im Landesgewerbemuseum Stuttgart, archivierte die Dinge seiner Zeit in allerlei wundersame Kategorien der Material-, Konstruktions- und Dekorfehler. Die Sammlung folgte den pädagogischen Bemühungen des deutschen Werkbundes und ist damit Teil einer Geschichte verschiedener Bewegungen der Geschmackserziehung.
Pazaureks historischer Fehlerkatalog mit seinen aus heutiger Sicht amüsant zu lesender Klassifizierung des Guten und Bösen soll Ausgangspunkt zur Bewertung unseres eigenen Feldes – der Mode – sein. Die Anwendung der historischen Kriterien auf die zeitgenössischen Modeprodukte bietet Inspiration für künstlerische Auseinandersetzungen und Reibungsfläche zugleich. Pazaureks klare Schwarz-Weiss-Matrix in der Beurteilung unmittelbarer Gestaltungsmerkmale ist fragwürdig. Wünsche nach einheitlichen Stilvorgaben waren in der Historie unlösbar mit einer spezifischen Auffassung von nationaler Kultur verbunden, die vor dem Hintergrund der katastrophalen politischen Entwicklungen im Verlauf des 20 Jahrhunderts sehr kritisch zu betrachten sind. Trotzdem ist Pazaureks hyper-differenzierte „Enzyklopädie des Ungeschmacks“ eine anregende Quelle und Aufforderung zur genauen Betrachtung.
1 Otl Aicher: die welt als entwurf, Berlin 1991, S.67
2 Karl Lagerfeld in, Paul Sahner: Karl, München 2009